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Ich versuche die Definition:
Als "Reitlehre" ist ein - in Form geeigneten Unterrichts vermittelbares - Ausbildungssystem für Reiter anzusehen, nach welchem die nach einem korrespondierenden System ausgebildeten Pferde auf die vorgesehene Weise geritten werden können.
Oder so: Die Reitlehre beschreibt und erklärt das Pferd-und-Reiter-Sein.
Die Reitlehre setzt einen auf gesicherten Erkenntnissen basierenden Standard, an welchem einerseits ein Ausbilder sich zuverlässig orientieren kann und mit Hilfe dessen andererseits das Tun eines Ausbilders weitgehend neutral in verallgemeinerter Form bewertbar wird. Im Falle der "Deutschen Reitlehre" bilden die "Richtlinien für Reiten und Fahren" der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) die Grundlage für die Ausbildung und liefern zugleich die Bewertungskriterien. Qualität und Stichhaltigkeit des betr. Reitunterrichts kann damit jeder grundlegend reiterlich versierte Betrachter überprüfen und in Relation setzen.Damit geraten zwei konkrete Ziele in den Vordergrund:Grundsätzlich kann man sich auf alle möglichen Arten irgendwie halbwegs sicher zu Pferde halten. Wem das langfristige Wohlergehen seines Pferdes gleichgültig ist, wer sich jederzeit von der Wiese oder aus der wilden, freien Prairie ein neues unverbrauchtes Tier holen kann, dem mag das genügen. Dem kann es gleichgültig sein, daß das Pferd zum Lastenträger erst durch die richtig angewandte ausdauernde Gymnastik ("Dressur") wird, bei seinem liebenden Besitzer wird es sein Ende finden, bevor es das merkt. - Wer aber seine Zeit mit einem durchtrainierten, ausdauernden und zuverlässigen Partner verbringen möchte, Freizeit oder Sport, und sich dies für lange Zeit erhalten, wird einer gewissenhaften, auf gesicherten Erkenntnissen beruhenden Ausbildung nicht entbehren wollen.
Unsere Reitlehre bietet diesen Rahmen, sie ist im laufe vieler Jahrhunderte bis in‘s kleinste Detail durchdacht und erprobt, und ihre einheitliche Verbreitung stellt sicher, daß jeder Ausbilder und jeder Reiter mit abgeschlossener Grundausbildung (i.e. Tauglichkeit zur Klasse L aller Disziplinen) jedes solchermaßen gerittene Pferd für beide Seiten schadlos einsetzen kann: Wir reiten ohne Verständigungsschwierigkeiten ein Pferd, das hinterher wenigstens ebenso gesund und gut gelaunt ist, wie vorher.
Idealvorstellung, sicherlich. Jedoch die Grundidee, der sich die (als solche formulierte) Deutsche Pferde- und Reiterausbildung unterordnet.Der Umgang mit Pferden erst hat den Menschen beweglich gemacht und ihm buchstäblich die Welt zu Füßen gelegt. Die ältesten geschriebenen Zeugnisse geordneter Ausbildung datieren zurück bis in die Zeit um 1700 v.Chr. Hethitische Schrifttaffeln belegen systematische, wohlfundierte und sorgfältige Ausbildung in allen Belangen rund um das Pferd, insbes. das intensive Training von Wagenpferden. Die Ausbildung von Streitrossen berittener Völker folgte spätestens u.a. mit den Skythen (deren Nachfahren die Germanen sein sollen) rund 900 Jahre danach. So repräsentiert letztlich auch unsere heutige Reitlehre einen Zeitraum von rund 4000 Jahren der Lehre, des Lernens und des Umganges, und ist Teil unseres ureigenen Kulturbereichs. Wir können damit auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen, wie er in anderen Disziplinen seinesgleichen nicht hat.
Ich sehe dies als Privileg wie auch als Verpflichtung, ohne Platz für frömmelnde Spielereien und Selbstverwirklichungsphantasien. Darum bemühe ich mich um "die deutsche Reitlehre", folge ihr und suche Unterstützung im überlieferten Wissen, i.e. der alten Literatur.
Der Ursprung liegt im Militärischen: Es sollte jeder als solcher ausgebildete Reitersoldat jedes zum entsprechenden Einsatz ausgebildete Pferd unter allen Umständen ohne besondere Vorkehrungen reiten und einsetzen können. Der militärische Gebrauch stellt außerordentlich hohe Anforderungen an Gehorsam, Verlässlichkeit und Leistungen des Pferdes, denen nur dank sehr aufwendiger, langwieriger und überaus anspruchsvoller Ausbildung genüge getan werden konnte. Nur wenig geringer dürfte diese Tatsache einzuschätzen sein: Das Pferd ist das Instrument für die Beweglichkeit schlechthin gewesen. Transport, Reise, jeder nennenswerte Standortwechsel wurde, so die wirtschaftlichen Verhältnisse des Einzelnen das hergaben, zu Pferde vollzogen. Darum auch Statussymbol, eben weil nicht jeder es zu unterhalten in der Lage war. Der Faktor ‘prahl’ als nebst dem Kriege gewaltigster Motor menschlichen Strebens, und nicht selten Auslöser kriegerischen Tuns - womit der Kreis sich schließt. Ein derart tief im täglichen Leben verankertes und mühsam gestaltetes Gut setzt man nicht leichtfertig unkalkulierbaren Gefahren aus, pflegt und bewahrt es in bestmöglichem Zustand und erhält diesen so lange irgend möglich. Diese ganz nüchterne Begründung für die hoch kultivierte Form des Umgangs mit Pferden findet ihre Weiterung in dem persönlichen Verhältnis, das, wer immer diesen Tieren auf eine derart abhängige Weise nahe kommt, nur folgerichtig entwickeln wird. Das Pferd des Reitersoldaten war nie bloßes Werkzeug oder Arbeitsmittel, ohne weiteres konnte es Partner einer Lebensgemeinschaft sein - sein (Über)Leben hing davon ab. Unter diesen Gesichtspunkten muß die traditionelle Reitlehre gesehen werden.
- Jeder nach einem vereinbarten System unterwiesene Reiter mit abgeschlossener Grundausbildung, als welche im Falle der "Deutschen Reitlehre" die Klasse-L-Reife aller Disziplinen gilt, soll in den Stand versetzt werden, jedes nach den entsprechenden Grundsätzen ausgebildete Pferd kontrolliert und sicher ohne Schaden, weder für das Tier, die Umgebung noch den Reiter selbst, zu einem gegebenen dem betr. Ausbildungsstand angemessenen Zweck einzusetzen rsp. an ein bestimmtes Ziel zu bewegen.
- Das Pferd soll so lange irgend möglich gebrauchstüchtig bleiben, i.e. bis in‘s hohe Alter gesund und allen Anstrengungen gewachsen.
Das Ausbildungssystem der Deutschen Reitlehre, wie sie etwa von Paul Plinzner brillant und praezis zusammengefaßt wurde, hat diese Ziele insgesamt stets besser als jedes andere erreicht, indem es sich auf die natürlichen Eigenschaften der Beteiligten stützt, die Bewegung ansich und körperliches Zusammenspiel, und sich zudem als verlässliche Wissens- und Entwicklungsgrundlage hervorragend bewährt. So wurde es auch im Übergang zur rein zivilen Reiterei beibehalten.
Gewichtige Begründung findet die Reitlehre natürlich auch unter dem Gesichtspunkt des Respekts gegenüber diesem treuen Begleiter, ohne den die Entwicklung menschlicher Kultur nicht zu denken ist, und in den allgemeinen Gedanken des Tierschutzes.
Das Idealbild ist die Symbiose zweier hochentwickwelter und recht eng verwandter Lebewesen. In der Vollendung vielleicht erreichbar, in der liebevollen Hingabe zumindest erkennbar und als Weg offen für jeden, der sich darum bemüht.
Bei all dem stütze ich mich auf die Wirklichkeit! und das traditionelle Schrifttum. Die Zeitgenossen haben dazu nichts wirklich neues beigetragen - mit, soweit mir bekannt, einer einzigen, allerdings höchst bemerkenswerten Ausnahme. Bestenfalls gelingt, sicher durchaus verdienstvoll, hin und wieder eine der aktuellen Denkweise leichter verständliche Darstellung. Jedoch meine ich auch, wer etwa einen Steinbrecht nicht zu lesen vermag, weil ihn die Schriftart verwirrt. oder weil es keine Abbildungen gibt, muß nicht unbedingt auf‘s Pferd. Er verfügt ganz einfach nicht über die hinreichende Auffassungsgabe. Dagegen sind zur Haltung von Pferden viele Einsichten zusammengetragen worden, denen aufgrund der zeitgemäßen Ansprüche gegenüber der Tierhaltung rechnung zu tragen ist. Am Rande wird auch dies Gegenstand dieser "Reit- und Pferdelehre" sein, steht aber nicht unbedingt immer im Vordergrund.
Warum das "traditionelle Schrifttum" und überhaupt, "Die Alten"?
Mit diesen werden Informationen in unsere Zeit transportiert, aus einem Leben, das ohne Pferde und die Fortbewegung
zu Pferd garnicht denkbar war. Das Wissen darum war selbstverständlicher Bestandteil des täglichen Lebens.
Sowohl das Verhalten des Pferdes als auch der Umgang mit ihm. Ganz banal kenntnsreich und frei von mystizierendem Gerede.
Diese Nähe ist inzwischen kaum mehr möglich, es bleiben die Darstellungen eben "Der Alten".
umfaßt darum verschiedenartige Themen:
- Zunächst die Erkenntnis,
- daß die Lehre einer bestimmen Tätigkeit zur Voraussetzung die ausführliche Kenntnis deren Gegenstands hat,
- das Wissen um Körperbau (Anatomie), Gemütsverfassung (Interieur), Gestalt (Exterieur) von Pferd und Reiter.
- daß es zum Erreichen eines Ziels gewisser Wirkungen bedarf.
- Die auf den lebendigen Partner zielenden Wirkungen nennen wir "Einwirkungen".
- Um Gestalt und Zweckmäßigkeit solcher Einwirkungen festlegen zu können, sind die infrage kommenden Grundlagen zu ermitteln
- Anatomie von Pferd und Mensch:
- Wir müssen erst einmal wissen, was in der Verbindung beider Körper und im Rahmen deren motorischer Fähigkeiten im besten Falle überhaupt möglich ist.
- Beispielhaft einmal diese Frage: Was machen wir mit einem Pferd, das sich das Schlüsselbein gebrochen hat? Und welche Konsequenz folgt aus der Antwort?
- Beider Exterieur im Zusammenspiel:
Daraus die Einsicht: Anatomie ist vorhanden und von gegebener Gestalt. Gegenstand der Forschung, nicht der Diskussion. Sicherlich auch nicht Gegenstand einer "Philosophie". Den daraus folgenden Erfordernissen ist konkret in der Ausbildung Rechnung zu tragen.
- Ist die körperliche Verbindung zwischen Pferd und Mensch möglich? Wie weit kann diese ggf. gehen?
- Gibt es korrespondierende Bereiche beider Körper? Wo und wie harmonieren diese Körperpartien?
- Psyche von Pferd und Mensch:
- Die Gruppe von Menschen,
Höhlenbewohner: Der geschlossene Raum vermittelt Geborgenheit.
Familienverband und davon getrennt die Jagdgemeinschaft. Massenbildung, Aufgabe der Individualität.- Die Gruppe von Pferden,
Bewohner teils der Waldlandschaft und vor allem weiter Ebenen: Offenes Gelände vermittelt Sicherheit.
Familienverband als Lebens- und zugleich Schutzgemeinschaft. Herdenbildung zu denselben Zwecken.- Beider Interieur im Zusammenspiel:
- Was nehmem wir wahr? Wie nehmen wir es wahr?
- Was ist uns gemein? Was unterscheidet uns?
- Wir haben Psyche und Anatomie in Einklang zu bringen:
Wo beide sich treffen, findet die Ausbildung statt.
- Die Anatomie gibt den mechanischen Rahmen der Möglichkeiten
- Die Psyche gibt den Rahmen der möglichen Durchführung
- Daraus folgend
- die Notwendigkeit der Gymnastizierung des Pferdes: "Dressur"
- zugleich und aus der grundsätzlichen Gemütslage folgend die zweckmäßige Gestalt und Ausführung der betreffenden Übungen. Deren Beschreibung bildet die Reitlehre im engeren Sinne.
- Sattel, Zaumzeug, Reitbekleidung als "Bindemittel".